Minimalismus
12. Januar 2011

Man kann auch Minimalismus maximal verkomplizieren

Von Alexander Rubenbauer, Nürnberg
 

Manche Menschen reden Minimalismus schlecht oder machen ihn unnötig kompliziert, indem sie sich an Details aufhängen.

Zum Beispiel:

Nina twittert so viel. Das ist aber gar nicht minimalistisch.

Wenn sie damit ihr Leben füllen möchte, weil es sie bereichert oder es ihr Spaß macht, wird es für sie keine Belastung darstellen. Es ist vielleicht ein unnötiger Luxus, aber Minimalismus ist keine Religion, wo ein Führer oder ein Gesetz vorgibt, was minimalistisch ist, und was nicht.

Minimalismus ist, was sich für denjenigen, der ihn lebt, gut anfühlt, weil er sein Leben überwiegend mit Dingen und Aktivitäten füllt, die ihm am meisten Freude bereiten.

Leo zieht von einer kleinen Insel ohne viele Möglichkeiten in die Großstadt. Das sei aber gar nicht minimalistisch, meint Penelope, die wiederum von einem kleinen Appartement in New York auf eine Farm auf dem Land zieht.

Penelope empfindet ihr Farmleben als minimalistisch, weil es keine Restaurants gibt und man eigentlich alles selber machen muss. Da kann man argumentieren, dass alles selbst zu machen nicht minimalistisch sei, weil es doch effizienter wäre, unnötige Arbeiten auszulagern.

Ein kleines Appartement macht dagegen viel weniger Arbeit und in der Großstadt bekomme ich zu jeder Zeit von überall her was ich brauche ohne großen Einsatz von Zeit oder Energie.

Wer hat nun Recht? Ganz einfach: Alle haben Recht. Jeder für sich – so wie er es empfindet.

Everett besitzt nur 57 Dinge, davon sind 4 T-Shirts, Socken zählt er jedoch nicht zu den Dingen. Das sei heuchlerisch.

Warum ein T-Shirt als Sache zählt, Socken jedoch nicht, erschließt sich mir auch nicht. T-Shirts brauche ich genauso wie Socken, auch wenn Socken den “Zähler” natürlich viel mehr erhöhen. Darum ist so ein Zähler auch absolut unnötig und setzt nur unter Druck.

Unter den Minimalisten fing die Sachenzählerei an mit der “100-Dinge-Herausforderung”. Sie waren stolz, wenn sie nur 100 Sachen besaßen und eine Liste ihrer Sachen online stellen konnten.

Aber es reicht meiner Meinung nach schon aus, wenn man sich bewusst macht, dass wenige Dinge ausreichen und versucht, auszumisten und sein Leben einfach zu halten, ohne wirklich jede Sache einzeln zu zählen und noch dazu in biblischen Ausmaßen Regeln aufzustellen, ob das jetzt als Einzelsache gilt oder nicht. Das wäre nicht Minimalismus, sondern maximale Zeit- und Hirnverschwendung.

Everett besitzt ein MacBook Pro und ein iPhone. Was ist an diesen teuren High-Tech-Geräten minimalistisch?

Es ist deshalb minimalistisch, weil man mit einem MacBook Pro (wie mit allen Macs) super arbeiten kann, es lange hält und Computer heutzutage im Vergleich zu früher eine ganze Büroeinrichtung ersetzen. Wenn DAS nicht minimalistisch ist, was dann?

Es gibt keinen Grund dafür, sich das Notebook eines Billigherstellers zu kaufen, wovon man dann öfter eins braucht oder es nicht so funktioniert wie es sollte, was eine Ablenkung und unnötigen Aufwand darstellt, der nicht die Lebensfreude erhöht, was wiederum ganz und gar nicht minimalistisch ist.

Ein iPhone vereint eine relativ gute Kamera, ein Notizbuch, einen Kalender und viele andere nützliche Dinge in einem kleinen Gerät, das noch dazu einfach zu bedienen ist und die man ansonsten zusätzlich in den Rucksack packen müsste. Für mich ist das minimalistisch, sofern man sein Leben nicht dafür verschwendet, alle Apps auszuprobieren, die man finden kann und sich von eingehenden Anrufen von einem Gespräch oder der Nahrungsaufnahme ablenken lässt.

Geiz ist übrigens nicht minimalistisch, sondern abtörnend.

Es entsteht eine Diskussion darüber, warum Everett die Batterien in seiner Fernbedienung nicht als einzelne Dinge zählt, sondern die Fernbedienung als Ganzes als eine Sache ansieht.

Dann müsste man die Platine in der Fernbedienung auch als einzelnes Ding zählen, und den Deckel zum Verschließen des Batteriefachs ebenfalls. Eine absolut unnötige, kindische Diskussion.

Was lernen wir daraus?

Man kann auch Minimalismus unnötig kompliziert machen und soweit aufblasen, dass es das ganze Leben in Anspruch nimmt.

Dabei geht es letztlich doch nur um eine harmlose, kleine Sache:

“Identifiziere, was Dir in Deinem Leben das Wichtigste ist. Streiche alles andere.”

Und das ist in jedem Leben schließlich etwas anderes.

 

Über den Autor
Alexander Rubenbauer ist Psychologe (M. Sc.) und Psychologischer Psychotherapeut. Er bietet Psychotherapie sowohl persönlich in Herrieden bei Ansbach als auch über das Internet an. Er ist per E-Mail erreichbar.

 

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