Minimalismus
2. Juni 2011

Wer immer mehr will, versklavt sich selbst

Von
 

Immer mehr zu wollen ist ein Phänomen unserer Zeit, ein Spiegelbild unserer Lebensweise, und doch ist es etwas, das selten als Phänomen erkannt wird. Es prägt unser Verhalten, ohne, dass wir es begreifen. Wir nehmen gar nicht wahr, dass dies oft unseren Emotionen und Handlungen vorausgeht.

In unseren Gefühlen und Erfahrungen nimmt das Verlangen nach Mehr überhand. Vielleicht gehört dieses Phänomen von Natur aus zum Menschsein. Oft organisieren wir unser Leben rund um dieses Verlangen und messen den Erfolg unseres Lebens daran, wie erfolgreich wir darin sind, uns immer mehr zu verschaffen, von was auch immer wir in einem bestimmten Moment wollen.

Zudem leben wir in der Angst nicht noch mehr zu erreichen. Wenn wir mit der Familie oder mit Freunden sprechen, dreht sich vieles darum, mehr zu bekommen: Wer hat mehr hiervon, wer mehr davon? In den USA wird Mehr als kultureller Wert gefeiert. Man will mehr Zimmer in seinem Haus oder einen besser durchtrainierten Körper oder Autos mit mehr PS oder mehr Status, mehr Geld, mehr Kleidung, mehr Bildung – die Liste ist endlos.

Selbst Menschen, die meditieren, möchten möglicherweise mehr: veränderte Bewusstseinszustände oder mehr Einsicht oder mehr Retreats. Mehr ist wie der Staub in der Luft, den man nie wahrnimmt, aber doch dauernd einatmet.

Lässt du in gewisser Weise zu, dass Mehr zu einem inneren Maß wird, an dem du deinen Wert misst – ohne dich jemals bewusst dafür entschieden zu haben? Wenn und falls das passiert, bestimmt es diese Momente deines Lebens derart, dass du neue Verhaltensmuster entwickelst. Es wirkt sich buchstäblich darauf aus, was du in jedem beliebigen Moment deines Lebens wahrnimmst.

Wenn wir anfangen, Mehr als eine Möglichkeit zu benutzen, den eigenen Wert zu messen und unsere Werte zu bestimmen, verfallen wir dem, was man im Buddhismus als „wollenden Geist“ kennt. Dieser wollende Geiste ist angetrieben von Begierde, Widerwillen und Angst. Er erzeugt eine falsche Vorstellung von Kontrolle, in einer Welt, die sich ständig verändert.

Wer nicht dauernd Mehr oder Weniger im Blick hat, wer nicht danach strebt, immer mehr zu haben, und keine Angst davor hat “zu verlieren“– wer nicht zulässt, dass Mehr einen unangemessenen Einfluss auf sein Leben hat – ist frei.

Mehr kann ein großer Antrieb sein. Daher kann es nicht darum gehen, es in Bausch und Bogen zu verwerfen. Doch es sollte nicht dein Leben lenken. Verlangen und der Wunsch nach „mehr“ kann Kraftstoff auf deinem Weg sein. Doch es sind allein deine Achtsamkeit und deine Werte, die dir allzeit verlässlich zeigen können, wohin der Weg geht.


Dieser Artikel ist auf 52wege.de erschienen.

 

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