Persönlichkeitsentwicklung
20. Juli 2011

Über die Leichtigkeit im Nachdenken

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Nachdenken ist eine der Fähigkeiten, die uns als Menschen gegenüber anderen Lebensformen auszeichnen. Wir müssen nachdenken. Mit dem Nachdenken bringen wir die Nachdenklichkeit und dann die Sorge, vielleicht Verbitterung, Angst und Reue in unser Leben.

Nachdenken bringt uns aber auch Freude, Anspruch und das Erkennen und damit die Chance, die Dinge besser zu machen, unser Leben zu führen, statt nur zu ver-leben. Wie findet und hält man die richtige Balance zwischen der Leichtigkeit des Seins durch Nicht-Nachdenken und der Freude am Nachdenken?

Nicht allen fällt das leicht und jeder hat so seine Strategien, damit umzugehen. Im ungünstigsten Fall sind es Vermeidungsstrategien, die dann Selbsterkenntnis und Weiterentwicklung blockieren.

Es gibt ein paar wirklich gute Strategien, die Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Leichtigkeit im Nachdenken zu finden. Nicht immer taugen diese Strategien für jede Situation. Man kann sie einsetzen, wo sie passen. Nur die fünfte und für mich wichtigste Strategie empfehle ich wirklich dauerhaft beizubehalten.

1. Betreibe das Nachdenken als Gedankenspiel! Mache dir bewusst, dass es immer Alternativen gibt. Im Nachdenken sind wir frei und jedem dunklen Gedanken können wir einen hellen gegenüberstellen. Wir bringen sie miteinander ins Spiel und sehen zu, wie sie sich zu einander verhalten. Wiegen sie sich gegenseitig auf? Setzt sich einer gegen den anderen durch? Verstärken sie sich? Finden sich weitere Alternativen? Mach dir klar, dass du über die Konsequenzen deines Denkens selbst bestimmen kannst. Solange der Gedanke nicht zur Tat wird, kannst du spielerisch mit ihm umgehen und die fallen lassen, die sich nicht eignen.

2. Gehe vom Hier und Jetzt aus! Nachdenken über die Zukunft kann uns in Erwartung, aber auch in Unsicherheit und Angst versetzen. Aber wie wahrscheinlich ist es, dass ein bestimmtes Ereignis eintritt oder tatsächlich so ist, wie du es befürchtest? Nachdenken über die Vergangenheit kann uns schöne Erinnerungen bescheren, aber auch Reue und Schuld. Aber welche Wichtigkeit hat das jetzt noch, wo du es doch sowieso nicht ändern kannst? Das heißt, wir müssen vorsichtig mit Zukunft und Vergangenheit umgehen und sie vor allem dann in unsere Gedanken einbeziehen, wenn wir einen positiven Nutzen daraus ziehen können. Dieser Nutzen kann beispielsweise in Vorsicht (Zukunft) und Aufarbeitung (Vergangenheit) liegen. Da wir aber weder über die Vergangenheit noch über die Zukunft irgendeine Macht haben, können wir sie in unseren Gedanken sparsam vorkommen lassen. Im Endeffekt heißt das auch, dass man sich selbst zur Ordnung rufen muss, wenn man sich beim Grübeln über Vergangenheit oder Zukunft ertappt. Lenke deine Gedanken auf die Gegenwart und du wirst sehen, dass du deine Tatkraft zurück gewinnst. Frage dich: “Was kann ich jetzt zur Lösung des Problems beitragen? Was kann ich jetzt konkret tun?”. Und wenn es (zumindest im Augenblick) nichts zu tun gibt, dann tue nichts.

3. Teile deine Gedanken mit anderen und umgib dich mit positiven Menschen! Während meines Philosophiestudiums kam ich in eine dunkle, solipsistische Phase. Ich las erst Sartre und später Kierkegaard und steigerte mich in eine existentialistische Angst hinein, die mich beinahe meine seelische Gesundheit gekostet hätte. Wochenlang ging ich durch die überfüllten Vorlesungen, ohne überhaupt einen Menschen wahrnehmen zu können, ohne jemanden oder irgendetwas ernst nehmen zu können. Ich verlor den Kontakt zu meinen Mitmenschen und damit die Sinnzusammenhänge der Gemeinschaft. Erst als ich in einem Seminar Marc traf und mit ihm zusammen ein Referat über den Konstruktivismus vorbereitete, kam ich aus meinem dunklen Loch langsam wieder hervor. Es machte Spaß, gemeinsam über Literatur und Philosophie zureden, sich auch mal lustig zu machen über die ganze Ernsthaftigkeit um uns herum und langsam auch eine Theorie – für mich der Konstruktivismus – für mein eigenes Leben im Dialog mit einem Freund zu entwickeln. Allein sein können und nachdenken ist wichtig, aber die Gemeinschaft und die Sinnzusammenhänge, die sie auch über den Dialog stiften, sind vielleicht noch wichtiger.

4. Erlaube dir Gedankenpausen, sei nicht besessen! Ein geglücktes Leben besteht aus Unterschieden, Varietäten und dem Reiz der Abwechslung. Vergrabe dich nicht in deinen Gedanken, sondern gehe an die frische Luft, bewege dich, springe ins Wasser und tanze auf Konzerten. Das Nachdenken ist wie eine Blume, die sich aus deinem Innern speist, vergiss nicht, dass du da auch mal was nachfüllen musst. Nimm deine Welt war, sauge auf, was sie dir an Reizen bietet. Vernachlässige dein körperliches Wohl nicht, aber beobachte auch nicht jeden Furz und jedes Zipperlein. Gönne deinem Kopf eine Pause, dann denkt es sich auch wieder frisch. Oft reichen schon fünf Minuten Meditation, um Klarheit zu gewinnen.

5. Urteile nicht! Wann immer du ins Nachdenken kommst, sei es über dich selbst, deine Mitmenschen, Vorstellungen oder Situationen: Lass dich von deiner Neugier tragen. Wenn etwas unangenehm auf dich wirkt, dann tue es nicht durch ein schnelles Urteil ab, sondern untersuche die Wirkung, die es auf dich hat: Was löst es in dir aus? Wie schmeckt oder riecht es? Vermeide inhaltslose Urteile wie eklig, furchtbar, hässlich und finde stattdessen beschreibende Adjektive wie süß, bitter, schrill, asymmetrisch und so weiter. Dadurch gibst du dir selbst die Schlüssel an die Hand, um die Welt zu verstehen, während ein bloßes Urteil jedem Gedankengang ein Ende setzt und das Verständnis blockiert. Wenn es um Gedanken, Theorien oder Äußerungen anderer geht, frage dich, was für sie sprechen könnte und aus welchem Hintergrund andere zu diesen Gedanken gekommen sein mögen? Und ganz wichtig: Wenn du über dich selbst und dein Leben nachdenkst, verurteile dich, deine Wünsche, Handlungen und Sehnsüchte nicht. Sie mögen nicht immer die besten sein, aber das ist menschlich. Es gibt immer Gründe für dein Verhalten und die Chance, dein Denken und Handeln zu verbessern.

Wenn es dir gelingt, zuweilen spielerisch mit deiner Gedankenwelt umzugehen, dich auf die Gegenwart zu konzentrieren, im Dialog mit anderen zu bleiben, Pausen einzulegen und vor allem nicht die Kraft deiner Gedanken durch das Urteilen zu hemmen, dann wirst du Spaß und Kraft für dich und andere aus deiner Gedankenwelt ziehen.


Gilbert Dietrich ist Philosoph und Coach und arbeitet als Team-Manager im Online-Marketing. Mit Leidenschaft schreibt er für Geist und Gegenwart, wo er den Mechanismen des Lebensglücks auf den Spuren ist.

 

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