Persönlichkeitsentwicklung
16. September 2012

Wer bist du?

Von Alexander Rubenbauer, Nürnberg
 

Wenn mir jemand die Frage “Wer bist du?” stellt, habe ich ernsthafte Schwierigkeiten, zu antworten.

Meint derjenige wie ich heiße, woher wir uns kennen, was ich mache, wie ich so drauf bin, oder alles zusammen?

Üblicherweise antwortet man auf diese Frage mit einem kleinen Steckbrief: Ich heiße soundso, bin soundso alt, soundso groß, wiege soundso viel, habe Haare oder auch nicht, eine bestimmte Augenfarbe, und habe in der Vergangenheit dieses getan, tue zur Zeit jenes, und beabsichtige in Zukunft irgendetwas anderes zu tun.

Das ist jedoch streng genommen nicht, wonach gefragt wurde. Das sind alles nur Etiketten. Und es vermochte noch niemand, auf die Essenz dieser so banalen wie unbeantworteten Frage zu antworten.

Die Antwort ist schon durch die Sprache beschränkt, in der die Frage gestellt wurde. Statt “Wer bist du?” könnte man auch “Was bist du?” fragen, und würde andere, wenn auch genauso wenig befriedigende Antworten erhalten: Eine Ansammlung von Atomen, ein Zellhaufen, ein sprechender Fleischberg?

Wer bin ich? Was bin ich? Wo bin ich? Warum bin ich? Wofür bin ich? Wann bin ich? Wessen bin ich? Wie lange bin ich?

Stellen Sie sich vor, es gäbe das Wort “wo” nicht. Es gibt ja Sprachen, in denen es einige Begriffe gar nicht gibt, also kann man auch nicht darüber reden. Man kann dann in der entsprechenden Sprache keine Gedanken darüber bilden, weil die sprachliche Grundlage dafür nicht gelegt wurde.

Gäbe es das Wort “wo” nicht, könnten Sie die Frage nicht beantworten, wo Sie sich gerade befinden.

Und so fehlt der deutschen Sprache vielleicht ein Wort, das unserem Hirn überhaupt erst ermöglichen würde, korrekt auf den Kern der Frage “Wer bist du?” zu antworten.

Wahrscheinlicher ist aber, dass wir außer Etiketten wie Name, Beruf, usw. und vermeintlich fixen (Charakter-)Eigenschaften nichts über uns selbst oder unseren Ursprung oder unseren “Zweck” wissen.

Eine seltsam vage Vorstellung, die der eigenen, sicher geglaubten “Identität” die Standfestigkeit nimmt. Versucht der Mensch vielleicht deshalb so verzweifelt, alles unter Kontrolle zu bringen, weil er nicht einmal über sich selbst Gewissheit hat?

Kann, wer erst einmal weiß, wer er ist, aufhören, andere verändern zu wollen, weil er sich selbst sicher ist? Er braucht dann beispielsweise keine Anderen mehr, die ihm das Gefühl von Sicherheit verschaffen, indem sie tun, was er von ihnen verlangt.

Führt die Unsicherheit der eigenen Identität dazu, über andere bestimmen zu wollen, womit das Bedürfnis nach Macht Ausdruck persönlicher Schwäche wäre?

 

Über den Autor
Alexander Rubenbauer ist Psychologe (M. Sc.) und Psychologischer Psychotherapeut. Er bietet Psychotherapie sowohl persönlich in Herrieden bei Ansbach als auch über das Internet an. Er ist per E-Mail erreichbar.

 

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